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Ein Zweiter Satz*

Wenn man so daher geht und einen Mann sieht, einen weißen Mann, der nicht mehr so ganz jung ist, auch nicht so ganz fit, eigentlich sogar schon einen Bauch hat den er nicht immer einzieht, so dass junge Mädchen oder attraktive Frauen ihn nicht mehr anschauen, er selber aber schaut allem was jung und flott ist hinterher, und pfeift wenn ihm gefällt was er sieht, egal ob es willkommen ist oder nicht, er merkt es nämlich gar nicht ob es ist, während er sich so dahin schiebt anstatt flott zu gehen, es tut ihm ja überall was weh, in seiner Funktionskleidung oder wahlweise zu engen Jeans falls das Dauerfitnesstreiben doch Wirkung zeigt, nimmt der Mann zu viel Platz auf dem Gehweg ein, trotzdem weicht er nie jemandem aus, auch wenn die anderen auf die Fahrbahn hinaustreten müssen, selbst Frauen mit Kinderwägen tritt er forsch entgegen, oftmals spricht er am Handy laut über wichtige Sachen die man noch so machen muss, man sagt ihm besser nicht dass er laut ist, sonst wird er böse, deshalb lässt man ihn lieber gehen und weicht aus, aber er geht oft nicht, denn er hat was zu sagen, am Telefon und auch in Person, man soll ihn hören, denn schließlich kennt er sich aus, mit dem Leben anderer, auch wenn sein eigenes eigentlich nur okay ist, es ist aber nicht seine Schuld das nicht mehr aus ihm geworden ist, dass die Frau weg lief, die nicht wusste was gut für sie ist, die merkt das schon noch und kommt wieder, aber jetzt muss er erstmal für sie zahlen, dabei ist sie doch nur was sie ist weil er sie damals geheiratet hat, überhaupt was denkt die eigentlich was da noch groß passieren soll, schließlich ist sie eine Frau, nicht mehr ganz jung!, so gut wie bei ihm wird sie es nie wieder haben, und das Kind, dass ihn nicht immer sehen will, auch nicht, die werden das schon noch bereuen, genauso wie die da oben in seiner Firma, wenn man ihn nur ließe wie er könnte, dann würde er es allen zeigen, auch diesen Jungspunden und den Frauen da im Job, die an ihm vorbei befördert wurden, die eine ist halb so alt, leitet jetzt die Logistik mit lauter Algorithmen und so, das ist doch ein Männer Job, die kennt sich im Lager gar nicht aus, und `ne Kiste heben kann die auch nicht oder Gabelstapler fahren, aber man weiß ja wer heutzutage an die Macht kommen muss und wieso, alles nur politisch, auch wenn es der Firma schadet, mit Leistung hat das nichts zu tun, denn wenn es danach ginge, dann wäre er ja wohl ganz oben, und wenn dann die anderen mittelalten Männer mit etwas Bauch und nicht mehr ganz so vielen Haaren um ihn herum zustimmend nicken, mit Verständnis, und sagen, ja genauso ist es, Quote macht alles kaputt, und wenn es keine Frau ist, ist es irgendein Migrationshintergrund der einen weiterbringt, sowas haben wir alle nicht, daher haben wir auch keine Chance, egal wie sehr wir uns anstrengen, wir sind die wirklich Benachteiligten, schwer hat man es als normaler Mann heutzutage, der eigentlich nur das Sagen haben will, ohne dass ihm da ein Weibsbild oder Ausländer reinredet, weder im Job noch zu Hause, es wäre ja nur zum Besten für Alle, man sieht es ja, bisher haben wir Männer auch sehr gut für Alle gesorgt, das Ergebnis der letzten Jahrtausende kann sich doch sehen lassen, wir haben es weit gebracht, schließlich ist die abendländische Kultur überlegen, wenn es nicht so wäre warum wollen dann alle zu uns flüchten, unsere Wirtschaftsmacht und unser Geld gefällt ihnen, aber das wird jetzt alles den Bach runtergehen, ganz klar, denn diese Quotenmenschen und die Flüchtlinge die nehmen ja nur von uns, das was wir aufgebaut haben, tun wollen sie nix dafür, nur wir reiben uns auf, aber keiner ehrt uns; wenn man das sieht und hört, dann weiß man: das sind AFDler oder Trumpisten.

 

*Tribut an Kurt Tucholsky aka Ignatz Wrobel „Ein Satz“

https://de.wikisource.org/wiki/Ein_Satz_(Tucholsky)

Das gebrochene Herz

 

Sie geht durch die Straßen der Stadt, spürt die Blicke der Menschen, nehmen diese wahr, dass sie anders ist, anders als sie, die Gesunden? Wahrscheinlich bilde ich mir das nur ein, denkt sie. Die Menschen sind mit sich selber beschäftigt, hasten herum, haben wenig Zeit, sind mit den Gedanken in ihrer Welt. Sie spürt ihr Herz, aber vielleicht ist das auch nur eine Einbildung, so wie dass der Mann dort sie anschaut, nimmt er wahr das sie langsamer wird im der Strom der Menschen, zurückfällt, die Menschen um sie herum strömen, sie ein Fremdkörper bildet, der stört. Die anderen reiben sich an ihr, dem Fremdkörper, reiben sie auf, und gerade das darf nicht sein.

 

Sie horcht in sich hinein, fühlt ihr Herz schlagen, poch, poch – es ist noch da auch wenn ich es nicht höre? Vermutlich schlägt ihr Herz noch ganz genau so wie vor einer Stunde, bevor sie zum Arzt ging. Dieser Arzt, der sie anschaute und dann sagte, sie müsse jetzt stark sein. Und ihr dann eröffnete, dass ihr Herz schwach ist. Zu schwach, um weiter zu schlagen für den Rest ihres Lebens. Es reiche nur noch für ein paar Jahre. Die paar Jahre sind nicht genug, denkt sie, sie braucht mehr, das Kind, der Mann, das Leben; ihr Leben. Das Kind ist zu klein, der Mann nicht gut allein, das Leben, ihr Leben noch nicht gelebt. So treibt sie durch die Stadt, in sich hineinhorchend, hört ihr Herz schlagen, noch? Jetzt auf dem Heimweg sehen die Anderen anders aus als auf dem Hinweg, sie am Ausgang des Lebens, die anderen noch am Eingang. Wie anders das Leben ist, wenn man Ausgeht. Die Lichter sind heller, die Farben greller, die Geräusche lauter. Mein aufgeregtes Herz ist zu aufgeregt, ich soll doch ruhig sein. Wie kann man ruhig sein, wenn man weiß, man soll sich nicht aufregen? Ist das nicht Aufregung an sich? Wie soll sie ein Leben leben, wenn sie immer auf sich aufpassen muss?

 

Sie denkt, man kann es niemanden sagen, wenn ich es offenbare regen sich alle auf, und dann regt sich mein Herz auf, und es muss doch still sein, wegen dem Kind, dem Mann, dem Leben. So beschließt sie ihr Herzeleid mit niemandem zu teilen. An manch einer Familienfeier, Geburtstagsfeier und vielem mehr wird sie nicht teilnehmen. Mit schwerem Herzen, um ihre Herzenskraft zu schonen für ihre Herzensangelegenheiten.

 

Doch die Menschen tuscheln hinter ihrem Rücken, oh, sie ist sich zu fein; oh, sie mag uns nicht. Sie aber denkt; mein Kind, der Mann, das Leben, das noch nicht gelebt ist! Und so lebt sie hinter den Mauern, die sie um ihr Herz baut, länger als der Arzt jemals gedacht hätte, länger als es eigentlich möglich wäre. Bis der eine Mann, ein wilder Mann, ein enthemmter Mann, in ihr Leben kam, in unser aller Leben drang, laut, aggressiv, gefährlich. Er ist überall, sie versucht ihn aus ihrem Leben zu verbannen, zieht aufs Land, stellt das Fernsehen aus, tut alles, um ihr schwaches Herz zu schützen. Es hilft nichts, sie kann ihn nicht aus ihrem Herzen verdrängen. Die Sorge um das Kind, das anders ist als die anderen Kinder, dass sein Leben noch nicht gelebt hatte, es unter dem orangen Mann nicht leben kann, wächst.

Und am Wahltag bricht ihr Herz. Das Herz das sie all die Jahre so sehr geschützt hatte.

 

Als die Menschen um sie herum von dem gebrochenen Herzen hören, tuscheln sie wieder; warum hat sie nicht gesagt, dass sie nicht konnte? Warum hat sie ihre Sorge um das Kind, den Mann und das Leben nicht geteilt? Oh, wenn wir es nur gewusst hätten!

 

Oh, wenn wir es nur vorher gewusst hätten, dass der Mann Herzen brechen wird. Oh, das arme Kind, der arme Mann, oh das nicht gelebte Leben. Oh, der schlimme orange Mann.

Aber - oh, gehen sie wählen, marschieren, protestieren? Vielleicht. Wahrscheinlich nicht.

Es ist ja nicht ihr Herz, das gebrochen ist. Noch nicht.

Ach, das Publizieren!

Das Publizieren, das ist nicht schwör

nicht mal für den Ingenör!

Kaum hat man was gedacht

schon ist es zu Papier gebracht.

 

Eine Meinung, die ist schnell gefasst

noch was dazu gesagt, und - passt!

Der Podcast, Blog und Email-Blast

immer eine literarische Meistertat.

 

Thomas Mann, der feilte an jedem Wort,

doch heut‘ geht’s nur in einem fort.

Zeichen werden zu Papier gebracht,

wichtig ist, dass man es macht.

 

Desto mehr, desto besser,

jeden Tag ist man der Presser.

Was drin steht, nicht so wichtig,

Qualität ist doch nichtig.

 

Einer wird’s schon lesen, wer weiß,

der Computer läuft schon wieder heiß.

Die nächsten Worte wollen raus,

sonst hälst die Welt nicht aus.

 

Goethe sagte, wer schreibt

der bleibt

deshalb machst dich dran

auch wennst nix kannst.

 

Alle schreiben immer mehr,

reiten auf dem Wort daher

durch Nacht und Wind

egal wessen Geistes Kind.

 

Und so füllt sich das Internet

mit lauter Sachen

die alle

keinen Unterschied machen.

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